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222014

(1972) Studien zur soziologischen Theorie, Dordrecht, Springer.

Don Quixote und das Problem der Realität

Alfred Schütz

pp. 102-128

"Unter welchen Bedingungen denken wir die Realität der Dinge?" fragt William James in einem sehr bemerkenswerten Kapitel seiner "Principles of Psychology"; 1 dort beginnt er seine Theorie der verschiedenen Realitätsbereiche zu entwickeln. Jeder Gegenstand, so glaubt er, der unwidersprochen bleibt, ist ipso facto anerkannt und als absolute Realität gesetzt. Und ein gedachtes Ding kann nicht von einem anderen widerlegt werden, solange kein Streit zwischen beiden ausbricht und etwas gesagt wird, was mit dem anderen Gegenstand unverträglich ist. Wenn dies der Fall ist, muß das Bewußtsein eine Wahl treffen, welchem Gegenstand es sich anschließt. Alle Sätze, ob Attributiv- oder Existentialsätze, werden nur vermittels der Tatsache geglaubt, daß man ihren Inhalt erfaßt, es sei denn, sie stoßen mit anderen Sätzen zusammen, die zur selben Zeit geglaubt werden und von denen die Behauptung gilt, daß ihre Merkmale die gleichen Merkmale sind wie die jener anderen Sätze. Die ganze Unterscheidung zwischen real und irreal, die ganze Psychologie des Glaubens, des Unglaubens und Zweifels ist, immer nach William James, auf zwei psychische Tatsachen gegründet: I. daß wir denselben Gegenstand auf verschiedene Art und Weise denken können; und 2. daß, wenn wir dies getan haben, wir die Wahl haben, welcher Ansicht wir uns anschließen und welche wir vernachlässigen wollen. Der Ursprung und Quellpunkt aller Realität, gleichgültig ob sie absolut oder praktisch ist, ist daher subjektiv, sind wir selbst. Dementsprechend existieren eine ganze Reihe, wahrscheinlich eine unendliche Anzahl von verschiedenen Realitätsbereichen, jede mit ihrem eigenen speziellen und besonderen Existenzstil, welche James "Subuniversa" nennt. Dazu gehört die Welt der Sinne oder der physischen "Dinge," wie sie durch das Alltagsverständnis erfahren werden, sie ist die ausgezeichnete Wirklichkeit; die Welt der Wissenschaft; die Welt der idealen Beziehungen; die Welt der "Stammesidole" die übernatürlichen Welten, z.B. der christliche Himmel und die Hölle; die verschiedenen Welten der individuellen Meinungen; und schließlich die Welten der reinen Verücktheit und Phantasmagorie, auch sie sind unendlich zahlreich. Jeder Gegenstand, den wir denken, bezieht siczumindest auf die eine oder andere Welt dieser oder einer ähnlichen Aufzählung. Jede Welt ist, solange man sich ihr zuwendet, in ihrer eigenen Weise real. Und jede Beziehung zu unserem Bewußtsein überhaupt, solange es keine strengere und widerstreitende Beziehung gibt, genügt, um einen Gegenstand dieser Welt wirklich sein zu lassen.

Publication details

DOI: 10.1007/978-94-010-2849-3_6

Full citation:

Schütz, A. (1972). Don Quixote und das Problem der Realität, in Studien zur soziologischen Theorie, Dordrecht, Springer, pp. 102-128.

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