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221996

(1990) Antisemitismus in der Politischen Kultur nach 1945, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften.

Opfer der Opfer?

Ruth Wodak

pp. 292-318

Am 19. November 1987 trat Dr. Michael Graff, Generalsekretär der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), zurück. Er hatte einige Tage zuvor in einem Interview mit der französischen Zeitung "Express' gemeint, 'so lange nicht bewiesen sei, daß Waldheim mit eigenen Händen 6 Juden erwürgt hat, gebe es kein Problem."Zunächst wurde Dr. Graff vom Obmann der ÖVP noch gehalten und gestützt, am Montag wurde der Ausspruch in den Medien vorerst verschwiegen. Erst als die Proteste unüberhörbar wurden, gab er — 2 Tage späterseinen Rücktritt bekannt. Es stellt sich natürlich die Frage, ob ein solcher Akt auch passiert wäre, hätte Graff nur von einem einzigen Juden gesprochen und anstelle von "erwürgen", "erschießen" oder "anspucken" gesagt. Mußte es also mehr als "eine Handvoll" sein? Und die Konnotation von "erwürgen" mit direkter körperlicher Gewalt im privaten Bereich macht diese Formulierung um Grade unangenehmer und brutaler, als eine sachliche Sprache es ausgedrückt hätte. Solches muß also erst gesagt werden, damit ein österreichischer Politiker überhaupt an Rücktritt denkt…

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-322-83731-8_15

Full citation:

Wodak, R. (1990)., Opfer der Opfer?, in W. Bergmann & R. Erb (Hrsg.), Antisemitismus in der Politischen Kultur nach 1945, Wiesbaden, Verlag für Sozialwissenschaften, pp. 292-318.

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