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216321

(2017) Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie, Dordrecht, Springer.

Deskriptiv-psychopathologische Befunderhebung in der Psychiatrie

Henning Saß, Paul Hoff

pp. 559-576

Deskriptive psychopathologische Befunderhebung – dieser Begriff meint zum einen ein methodenkritisches Vorgehen mit dem erklärten Ziel der Vermeidung impliziter theoretischer Vorannahmen. Zum anderen aber stößt er seinerseits an methodische und konzeptionelle Grenzen, an die es zu denken gilt, um bei der Untersuchung und Beschreibung der abnormen psychischen Phänomene keine Vorurteile und unzulässigen Verkürzungen wirksam werden zu lassen. Der Begriff der deskriptiven Psychopathologie ist viel älter als die heute gebräuchlichen Diagnosesysteme, doch heben diese ganz wesentlich auf den von ihnen praktizierten deskriptiven Zugangsweg ab. Freilich sind operationale Diagnostik und deskriptive Psychopathologie keineswegs deckungsgleich. Ein großer Vorteil jedes deskriptiven Ansatzes liegt in der deutlich verminderten Gefahr der Verquickung ungeprüfter ätiopathogenetischer Hypothesen mit dem diagnostischen und therapeutischen Prozess sowie in einer höheren Reliabilität. Wird Deskription allerdings zu eng gefasst, etwa als eindeutiges Abbilden eines objektiven Tatbestandes beim Patienten durch ein ebenso objektives Medium, den Untersucher, so werden rasch die Nachteile deutlich, nämlich das Überwiegen der formalen zuungunsten der inhaltlichen Aspekte, die zwar unumgängliche, aber eben problematische Reduktion der klinischen Gesamtheit auf das deskriptiv Erfassbare und das Unterschätzen, ja Vernachlässigen von komplexen subjektiven Erlebensweisen, die oft die Beziehungsebene betreffen und in den Kriterienkatalogen nicht oder nur verkürzt vorkommen (können). Sei nun die Rede von der ursprünglichen deskriptiven Psychopathologie im Sinne Karl Jaspers' ("phänomenologische Richtung") und Kurt Schneiders ("deskriptiv-analytische Methode") oder von den zum Teil über sie hinausgehenden, z. T. hinter sie zurückfallenden aktuellen operationalisierten Befunderfassungs- und Diagnosesystemen, in jedem Fall ist eine empathisch-verstehende, von Respekt getragene Grundhaltung die wesentliche Basis einer sorgfältigen und damit patientengerechten Erhebung des psychopathologischen Befundes.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-662-49295-6_23

Full citation:

Saß, H. , Hoff, P. (2017)., Deskriptiv-psychopathologische Befunderhebung in der Psychiatrie, in H. Möller, G. Laux & H. Kapfhammer (Hrsg.), Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie, Dordrecht, Springer, pp. 559-576.

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