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216305

(1994) Ästhetik, Stuttgart, Metzler.

Wahre Illusionen

Friedrich Nietzsche

Terry Eagleton

pp. 243-271

Unschwer lassen sich Parallelen aufweisen zwischen dem Denken Friedrich Nietzsches und dem Historischen Materialismus. Denn Nietzsche ist auf seine Weise ein Materialist durch und durch, auch wenn er dem Arbeitsprozeß und dessen gesellschaftlichen Beziehungen kaum Beachtung geschenkt hat. Für Nietzsche, so könnte man sagen, wäre alle Kultur im menschlichen Körper verwurzelt, wenn dieser nicht seinerseits nur ein kurzlebiger Ausdruck des Willens zur Macht wäre. In der »Fröhlichen Wissenschaft« fragt Nietzsche sich, ob die Philosophie »bisher überhaupt nur eine Auslegung des Leibes und Missverständ-niss des Leibes gewesen ist«.1 Und in der »Götzen-Dämmerung« bemerkt er mit scherzhaftem Ernst, kein Philosoph habe bisher mit Verehrung und Dankbarkeit von der menschlichen Nase gesprochen.2 An Nietzsche haftet mehr als nur der Anflug eines vulgären, auf Schopenhauer verweisenden Physiologismus, wenn er beispielsweise darüber spekuliert, daß die Verbreitung des Buddhismus »von der übermäßigen und fast ausschließlichen Reiskost der Inder und der dadurch bedingten allgemeinen Erschlaffung« abhängig ist.3 Doch zu Recht sieht er im Körper den ungeheuren blinden Fleck aller traditionellen Philosophie: »Philosoph sein, Mumie sein…Und weg vor Allem mit dem Leibe, dieser erbarmungswürdigen idée fixe der Sinne! behaftet mit allen Fehlern der Logik, die es giebt, widerlegt, unmöglich sogar, ob er schon frech genug ist, sich als wirklich zu gebärden!«4 Nietzsche hingegen wendet sich wieder dem Körper zu und versucht, alles von ihm aus zu durchdenken, die Geschichte, die Kunst und die Vernunft als unverläßliche Hervorbringungen seiner Bedürfnisse und Antriebe zu begreifen.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03510-3_10

Full citation:

Eagleton, T. (1994). Wahre Illusionen: Friedrich Nietzsche, in Ästhetik, Stuttgart, Metzler, pp. 243-271.

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