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216305

(1994) Ästhetik, Stuttgart, Metzler.

Das Marxistisch Erhabene

Terry Eagleton

pp. 204-242

Die These, das Ästhetische sei schon in seinem Ansatz materialistisch, scheint in unserer bisherigen Darstellung nicht besonders gut weggekommen zu sein. Denn die geschilderte Entwicklung des Ästhetischen ließe sich wohl eher als die eines Anästhetischen beschreiben. So schloß etwa Kant aus seiner Theorie der ästhetischen Darstellung alle Sinnlichkeit aus und hielt sich an die reine Form. Pierre Bourdieu bemerkt dazu, bei Kants ästhetischem Vergnügen handele es sich um eine »asketische, vergebliche Lust, die in sich den Verzicht auf Lust birgt, von Lust gereinigtes Vergnügen«.1 Schiller löste das Ästhetische auf in eine allseitige, schöpferische Unbestimmtheit, die im Streit lag mit dem Bereich des Materiellen, den sie doch umgestalten sollte. Hegel war dem Körper gegenüber anspruchsvoll und wählerisch; er billigte nur jene Sinne, die von sich aus für eine Idealisierung geeignet erschienen. Bei Schopenhauer endete das Ästhetische unter der Hand in einer unerbittlichen Ablehnung der materiellen Geschichte. Wenn Kierkegaard sich der Sphäre des Ästhetischen zuwandte, verhielt er sich ihr gegenüber weithin negativ: Das Ästhetische, das einst gerade die Vollendung der Schönheit darstellte, wurde bei ihm zu einem Synonym für müßige Phantasien und würdelose Begierden. Ein Diskurs, der von Baumgarten begonnen wurde mit der Absicht, Sinnlichkeit und Geistigkeit miteinander zu versöhnen, ist also in eine starre Polarisierung zwischen einem sinnenfeindlichen Idealismus (bei Schopenhauer) und einem sündig verderbten Materialismus (bei Kierkegaard) manövriert worden.

Publication details

DOI: 10.1007/978-3-476-03510-3_9

Full citation:

Eagleton, T. (1994). Das Marxistisch Erhabene, in Ästhetik, Stuttgart, Metzler, pp. 204-242.

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